Im Jahr 2035 werden laut Prognosen 60 Prozent der Kapazitäten in der Stromerzeugung wetterabhängig, also fluktuierend sein. Flexibilität wird darum auf dem Energiemarkt immer wichtiger. Für flexible Stromerzeuger und -verbraucher ergeben sich viele Chancen, Kosten zu sparen und Einnahmen zu erzielen. Spannende Beispiele präsentierte das The smarter E Forum auf der EM-Power Europe 2025.
Woher kann die nötige Flexibilität kommen? Eine wesentliche Rolle spielt das Gebäudemanagement: „Die Gebäude sind der schlafende Riese der Flexibilität“, sagte Romain Serres, Geschäftsführer des französischen Unternehmens Tilt Energy. Gebäude hätten einen Anteil von 40 Prozent am Endenergieverbrauch. Die Flexibilität, die sich allein in Frankreich im Gebäudesektor erschließen lasse, entspreche der Leistung von sechs Atomkraftwerken, erklärte Serres.
Das aber setze ausgefeilte Algorithmen voraus, denn die Anzahl der angeschlossenen elektrischen Geräte zum Heizen, Kühlen und Laden von Elektrofahrzeugen werde sich in Europa zwischen 2023 und 2030 verfünffachen. Da die Strommärkte in den europäischen Ländern unterschiedlich strukturiert sind, gebe es für Flexibilität zwar kein Modell, das für alle gleichermaßen passt, das Grundprinzip sei jedoch immer das gleiche: Millionen Verbraucher müssten so orchestriert werden, dass sie im richtigen Moment Strom verbrauchen. Dafür benötige man vernetzte Geräte, Solaranlagen auf dem Dach, Ladestationen für Elektrofahrzeuge und Batteriespeichersysteme.
Dass neue Wege nötig sind, signalisiere der Markt, sagte Kai Becker, Entwicklungsleiter beim Vermarkter Energy2market: „Die negativen Strompreise am Spotmarkt rufen nach Flexibilität.“ Für Batteriespeicher in der Industrie seien je nach Jahreszeit unterschiedliche Einsatzbereiche attraktiv: Im Winter biete sich vor allem das Peak-Shaving an, um teure Lastspitzen beim Strombezug zu verhindern. Ein Aluwerk, ein Kunde von Energy2market, spare zum Beispiel allein dadurch 200.000 Euro im Jahr. In den Sommermonaten lohne sich aufgrund der großen Tagesschwankungen der Spotmarktpreise vor allem der Handel auf dem kurzfristigen Strommarkt.
Aufgrund der spezifischen Marktsituationen im Jahresverlauf nutze man die Speicher folglich im Rahmen eines Multi-Market-Modells, sagt Becker. Zwar wird künftig jeder neue Flexibilitätsanbieter die Schwankungen tendenziell glätten, doch aufgrund des weiteren Ausbaus der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien hätten die heutigen Erlösmodelle auch weiterhin Bestand: „Die Spreads am Spotmarkt werden die nächsten fünf bis sechs Jahre noch weiterwachsen“, prophezeite der Stromvermarkter.
Konkret vier Einsatzgebiete für Stromspeicher von Industriekunden benannte Finn Neugebauer, Verkaufsleiter bei be.storage, einem Unternehmen, das solche Batterien managt. Attraktiv sei zum einen das Peak-Shaving, das Netzentgelte spart, weil die Jahreshöchstlast bei Firmen mit registrierender Leistungsmessung den Leistungspreis für das ganze Jahr bestimmt. Weitere Erlösmodelle seien die Optimierung der eigenen Photovoltaik und der Beschaffung, die oft auf Spotmarktpreisen basiert. Sofern außerdem eine Rückspeisung von Strom ins Netz möglich ist, was der Netzbetreiber genehmigen müsse, seien auch Verkaufserlöse an der Strombörse zu erzielen.
Eine Einschätzung zu den verschiedenen Märkten, an denen Batteriespeicher agieren können, gab Lennard Wilkening ab, Geschäftsführer des Energievermarkters Suena: „Der kontinuierliche Intraday-Markt gewinnt an Bedeutung.“ Dieser ist der kurzfristigste unter den Spotmärkten, zu denen auch der Day-ahead-Handel und die Intraday-Auktionen zu täglich mehreren fixen Terminen gehören. Grundsätzlich werde der Handel an den kurzfristigen Märkten immer interessanter. Genutzt würden auch die Märkte der Regelleistung, sowohl der Primärregelleistung als auch der negativen Sekundärregelleistung.
Batteriespeicher im Zusammenhang mit Erzeugungsanlagen, wie Windkraft oder Photovoltaik, haben aber je nach Art eine eigene Logik – abhängig davon, ob es Co-Location-Speicher sind, Hybrid-Speicher oder Projekte auf Basis der Innovationsausschreibungen des EEG. Jedes Konzept folge seinen eigenen Regeln, sagte Wilkening. Gemeinsam haben die Modelle aber eines: Sie brauchen viele Daten im Hintergrund zur Optimierung, angefangen von fundamentalen Marktdaten und Wettervorhersagen bis hin zu den Anlagedaten in Echtzeit samt Ladezustand der Batterien. Die Herausforderung liege darin, diese Daten auch entlang der Preisprognosen zu optimieren. Entsprechend müsse der Handel automatisiert sein: „Er muss in Millisekunden erfolgen.“
Schon bei der Auslegung der Anlagen müsse die betriebswirtschaftliche Optimierung anhand von Erfahrungswerten erfolgen. Ein wichtiger Aspekt sei die Überbauung, also das Maß, um das die Summe der Leistung von Speicher und Erzeugungsanlage die Leistung des betreffenden Netzanschlusspunktes übersteigt. Weil die Optimierung der Lastflüsse von Erzeugungsanlage und Speicher komplex sei, sei es grundsätzlich von Vorteil, den gleichen Vermarkter für Speicher und erneuerbare Energieerzeugung zu haben.
Ein spezielles Modell von Flexibilisierung im Zuge der Sektorkopplung präsentierte Markus Fleschutz, Manager für Geschäftsentwicklung bei der Entelios AG: die Erzeugung von Prozesswärme durch Power-to-Heat. „Die negative Sekundärregelleistung ist attraktiv für Power-to-heat“, sagte Fleschutz. Ist zu viel Strom im Netz, wird dieser kurzerhand aus dem Netz entnommen, um einen Wärmespeicher aufzuheizen. Ist ein Wärmespeicher ohnehin schon vorhanden, könne er günstig für Power-to-Heat ergänzt werden. Fleschutz berichtet von einem 10-Megawatt-Boiler, der mit einer Amortisationszeit von 1,7 Jahren umgerüstet worden sei.
Noch bremst die Gestaltung der Netzentgelte solche Konzepte zur flexiblen Stromnutzung vielerorts aus, da sie eine möglichst gleichmäßige Netzauslastung belohnt. So werden in Deutschland etwa Unternehmen benachteiligt, die im Interesse des Gesamtsystems dem Netz kurzfristig überproportional viel Leistung entnehmen. Schuld daran ist die 7.000-Stunden-Regel. Diese besagt, dass Unternehmen reduzierte Netzentgelte bezahlen, wenn ihre Anlagen mindestens 7.000 Volllaststunden pro Jahr erreichen. Längst erweist sich diese Praxis als Hemmschuh für die Flexibilisierung. „Wir warten drauf, dass die 7.000-Stunden-Regel abgeschafft wird“, sagte Fleschutz. Sie sei bisher für energieintensive Betriebe „eine Handbremse für die Flexibilität“.
Die Energiewende macht Flexibilität zu einem wertvollen Gut. Ob durch Batteriespeicher, Power-to-Heat oder intelligente Gebäudesteuerung – wer seine Kapazitäten clever vermarktet, kann Kosten senken, neue Erlösmodelle erschließen und gleichzeitig zur Netzstabilität beitragen. Mit der erwarteten Reform der Netzentgelte eröffnen sich Unternehmen künftig noch mehr Chancen, ihre Flexibilität gewinnbringend einzusetzen.
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