Netzbildende Wechselrichter: „Wer sich schnell bewegt, profitiert am meisten“

Experteninterview – 26. November 2025

Dr. Sönke Rogalla, Abteilungsleiter Leistungselektronik und Netzintegration am Fraunhofer ISE

Netzbildende Wechselrichter sind eine Schlüsselkomponente, um den stabilen Betrieb der Stromnetze bei einer vollständigen Energieversorgung aus erneuerbaren Energiequellen zu gewährleisten. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE hat mit Unterstützung der vier deutschen Übertragungsnetzbetreibern im Projekt „GFM Benchmark“ ein Verfahren zur Bewertung dieser neuartigen Wechselrichter entwickelt und an Hand von Geräten verschiedener Hersteller erprobt. Die Ergebnisse zeigen den Stand der Marktreife der Technologie und fließen in nationale und europäische Normen ein.

Im Interview mit Sönke Rogalla wollten wir wissen, welche Bedeutung die Markteinführung von netzbildenden Wechselrichtern auf die Energiewende hat und welchen Beitrag das Projekt „GFM Benchmark“ zur Anwendung der netzbildenden Technologie (netzbildenden Anlagen) geleistet hat.

Netzbildende Wechselrichter sind die Voraussetzung für eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien zu jeder Zeit. Da die Energiewende schnell voranschreitet und die Stromversorgung in manchen Ländern bereits jetzt zeitweise zu 100 Prozent von Erneuerbaren gespeist wird, gewinnt ihr Einsatz rasant an Bedeutung. Derzeit verlassen wir uns noch fast vollständig auf konventionelle Kraftwerke, wenn es um die Bildung der Frequenz und Spannung im Stromnetz geht. Zukünftig werden diese Systemdienstleistungen von netzbildenden Wechselrichtern übernommen werden müssen. Seit etwa 10 Jahren haben sich Netzbetreiber, Wechselrichterhersteller und Forschung in verschiedenen Forschungs- und Entwicklungsprojekten intensiv dieser Frage gewidmet. Die Lösung ist eine grundlegende Änderung der Regelungstechnik von Wechselrichtern: Weg vom reinen Einspeisen in ein bestehendes Netz und hinzu einem aktiven Beitrag zur Bildung der Netzspannung. Dafür wurden netzbildende Regelungen entwickelt, im Labor erprobt und Simulationen unterzogen. Da jedoch bisher eine einheitliche Definition und Regelung von „netzbildend“ fehlte, starteten wir das Projekt GFM Benchmark. Ziel war es, über ein umfassendes Testverfahren, mit dem alle netzbildenden Eigenschaften eines Wechselrichters geprüft werden können, eine klare und anwendbare Definition für netzbildenden Wechselrichtern zu schaffen.

Parallel zum GFM Benchmark Projekt startete die Normierungsarbeit in Deutschland und auf europäischer Ebene für die technischen Standards der Komponenten sowie den Anschluss und Betrieb netzbildender Anlagen. Unsere Erfahrungen und Zwischenergebnisse aus dem Projekt waren für diesen Prozess sehr hilfreich, denn wir konnten unsere reale Erfahrungen aus der Vermessung netzbildender Wechselrichtern einbringen. In Deutschland gibt es nun seit Mai 2025 den VDE FNN Hinweis "Netzbildende Eigenschaften", der erstmalig die Anforderungen und den Nachweis für netzbildende Einheiten regelt. Dieser Hinweis bildet nun auch die Grundlage für den aufkommenden Markt für die Bereitstellung von Momentanreserve.

Auf europäischer Ebene geriet der Pfad zur Einführung netzbildender Wechselrichter leider jüngst ins Stocken. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis normative Anforderungen kommen. Daher sind die Marktaussichten für netzbildende Wechselrichter spannend, und es gilt: Wer sich schnell bewegt, profitiert am meisten. Das nun etablierte Prüfverfahren für das Verhalten netzbildender Wechselrichter, zu dem wir maßgeblich beigetragen haben, können Komponentenhersteller sowie Projektierer nun als Grundlage für ihre Entwicklung nutzen.

Die Einführung der notwenden Anzahl von netzbildenden Wechselrichtern steht auf einem 3-Säulen-Modell: Zunächst bauen die Übertragungsnetzbetreiber ihr eigenen Stromrichteranlagen, allen voran Hochspannungs-Gleichstromübertragungs-Systeme (HGÜs) und Blindleistungskompensationseinrichtungen (STATCOMS) inzwischen nur noch mit netzbildender Technologie. Zweitens startet in Deutschland ab 2026 ein sehr spannender Markt für die Bereitstellung von Momentanreserve. Es werden attraktive Konditionen für Großbatteriespeicher und große Wind- und PV-Parks mit netzbildenden Eigenschaften erwartet. Da der Bedarf an Momentanreserve derzeit hoch ist, ist damit zu rechnen, dass alle validen Angebote zum Zuge kommen. Die letzte Säule bilden dann die verpflichtenden netzbildenden Eigenschaften, die mit einem Zeithorizont von ca. 5 Jahren kommt.

Deutschland gibt dank der Roadmap Systemstabilität, die 2023/2024 erstellt wurde und nun als Fahrplant gilt, ein gutes Tempo beim Einsatz der netzbildenden Technologie vor. Anders sieht es leider auf EU-Ebene aus: Die Verzögerung beim Beschluss der Network Codes „Requirements for Generators RfG 2.0“ (eng. RfG – Anforderungen für Stromerzeuger)“ ist problematisch – vor allem, da vom Zeitpunkt des Inkrafttretens eine mehrjährige Implementierungsphase auf den nationalen Ebenen folgt.

Die Technologie steht, aber das systemische Finetuning folgt jetzt. Damit netzbildende Wechselrichter zum Branchenstandard werden können, müssen wir die ersten Pilotanlagen, die jetzt ins Netz gehen genausten monitoren und wissenschaftlich begleiten. Wir müssen analysieren, wie sich ihre Parametrierung auf die Systemstabilität auswirkt und davon für die nächste Generation der Anlagen und Richtlinien lernen. Mir müssen z. B. auch untersuchen, wie netzbildenden Einheiten mit Schutzgeräten in Verteilnetzen harmonieren. Außerdem beschäftigen wir uns mit der Fähigkeit, dass diese Komponenten im Notfall lokale Netzinseln aufbauen können – dies stellt eine große Chance dar, bedarf aber auch einer Betrachtung der damit verbunden Risiken.

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