„Wir müssen aufpassen, dass die aktuelle Energiekrise keine fossilen Lock-In-Effekte erzeugt“

Interview mit Timon Gremmels (SPD), Mitglied im Ausschuss für Klimaschutz und Energie sowie energiepolitischer Koordinator der SPD-Bundestagsfraktion auf dem Forum Neue Energiewelt, der Leitkonferenz der neuen Energiewelt, in Berlin am 14. September 2022.

Mit einer Diskussion zum Thema “Freiheitsenergien = Sicherheit, Wohlstand, Klimaschutz” wurde das Forum Neue Energiewelt am 14. September 2022 eröffnet. Wir wollten von Timon Gremmels wissen, wie frei uns der Photovoltaikausbau wirklich macht und was die Bundesregierung gerade tut und plant, um diese Freiheit auch schnellstmöglich zu erreichen.

Was ist die Quintessenz der Energiewende-Strategie der aktuellen Bundesregierung? Wie genau soll der geplante Photovoltaik-Ausbau erreicht werden?

Wir haben im Koalitionsvertrag, den wir vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine beschlossen hatten, ganz klar eine deutliche Anhebung des Ausbaupfades für erneuerbare Energien beschlossen, weil wir gesagt haben, dass wir nur so unser Ziel erreichen können, bis 2045 klimaneutral zu werden und bis 2030 den Anteil des erneuerbaren Stroms auf 80% anzuheben. Das gelingt nur, wenn wir jetzt beschleunigen. Dafür haben wir im Rahmen des Osterpakets eine der wesentlichen Voraussetzungen für den Vorrang des Ausbaus erneuerbarer Energien ins Planungsrecht festgeschrieben. Das heißt, in der Schutzgüterabwägung hat der Ausbau erneuerbarer Energien Priorität.

Das ist ein ganz wesentlicher Bestandteil zum Beschleunigen der Ausbaupfade, wo wir jetzt bei Photovoltaik einen Zubau von bis zu 22 Gigawatt jährlich haben wollen. Wir müssen aufpassen, dass die aktuelle Energiekrise keine fossilen Lock-In-Effekte erzeugt. Dass wir zum Beispiel durch die Importterminals für Erdgas, Flüssiggas oder auch die Laufzeitverlängerung von Kohlekraft nicht wieder die Klimaziele gefährden. Deswegen müssen wir auch in der aktuellen Krise das Potenzial der erneuerbaren Energien heben und ausschöpfen.

Das EEG wurde nun gerade überarbeitet. Was ist noch geplant, um den Zubau so schnell wie möglich voranzutreiben und die vorgesehene Zubaugeschwindigkeit zu erreichen?

Wir haben im Osterpaket ja schon einiges auf den Weg gebracht. Wir haben die Flächen angehoben. Wir werden an den Seitenrandstreifen von Autobahnen deutlich mehr machen. Wir haben auch bei Agri-PV deutliche Verbesserungen, aber auch die Kombination von Voll- und Teileinspeisung ist jetzt einfacher möglich. Wir haben auch für Dachanlagen außerhalb der Ausschreibung die Vergütung angehoben.

Die zwei Dinge, die noch kommen müssen, sind zum einen die auch im Koalitionsvertrag vereinbarte Pflicht, Photovoltaik auf Nicht-Wohngebäuden zu installieren. Zum anderen der ganze Bereich des sogenannten Mieterstroms, zwar gab es schon einige Verbesserungen, aber da muss man nochmal grundlegend ran, um die Vorteile der Photovoltaik noch stärker Mieterinnen und Mietern zukommen zu lassen. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, der jetzt zusammen mit der Solarpflicht auf Gebäuden zeitnah angegangen werden muss.

Die Diskussion auf dem Forum Neue Energiewelt drehte sich um das Thema “Freiheitsenergien”. Inwieweit kann man von Freiheitsenergien sprechen, was die erneuerbaren Energien und Photovoltaik angeht, wenn wir uns die starken Abhängigkeiten von China entlang der Wertschöpfungsketten ansehen?

Freiheitsenergie ist so zu verstehen, dass wir künftig keine Rohstoffe mehr verbrennen müssen und diese dann nicht mehr importieren müssen. Kein Uran, keine Kohle, kein Gas, sondern wir produzieren künftig, so ist zumindest das Ziel, die Erneuerbaren komplett selbst vor Ort. Was aber in der Tat ein Problem ist, sind die Anlagen, die wir bauen wollen. Da kommt derzeit leider sehr viel aus Asien und deswegen brauchen wir eine klare Industriestrategie für die erneuerbaren Energien. Wir wollen den Markt für erneuerbare Energien in Deutschland und den Produktionsstandort Deutschland in Europa stärken, weil wir glauben, dass wir damit gute Arbeitsplätze langfristig sichern. Wir müssen gerade jetzt aufpassen, dass Deutschland da nicht hinten runterfällt, sondern dass wir durch die Produktion beispielsweise von Wechselrichtern, Solarmodulen und Windkraftanlagen den Industriestandort Deutschland stärken.

Deswegen gehört dazu, dass wir künftig auch wieder bei der Modulproduktion in Europa vertreten sind. Es gibt ja Anbieter. Ich war letzte Woche in Freiberg in Sachsen bei Meyer Burger und habe gesehen, dass dort Module mittlerweile auch hier in Deutschland wirtschaftlich produziert werden können. Das heißt doch, dass es nicht per se immer so ist, dass Asien billiger produzieren kann, auch der asiatische Markt birgt Probleme. Wenn wieder eine Coronawelle ist und dort dann die Städte geschlossen sind und nichts mehr exportiert werden kann. Die Kosten, Transportkosten und Logistikkosten, sind mittlerweile auch extrem hoch und in Deutschland können zu vertretbaren Preisen Module hergestellt werden. Solche Firmen müssen wir ausbauen und bei ihren Expansionsplänen unterstützen. Gleiches gilt übrigens auch für Wärmepumpen. Auch da wollen wir möglichst viel in Deutschland produzieren, gerade auch in Kombination mit Photovoltaik, wo die Wärmepumpen erst ihr ganzes Potenzial entfalten können. Das wäre wichtig, dass auch diese Anlagen in Deutschland produziert werden. Deswegen muss die industriepolitische Strategie der Bundesregierung und auch Europas in diese Richtung fortgeführt werden.

Das heißt der erste Schritt, um jetzt die deutsche und europäische PV Produktion zu stärken, wäre die Entwicklung einer Strategie oder zeitgleich punktuelle, unterstützende Maßnahmen, wenn schon Unternehmungen wie die von Meyer Burger am Anlaufen sind? Wie ist die Vorgehensweise?

Das muss aus meiner Sicht eingebettet sein in eine Gesamtstrategie. Wir haben jetzt nicht die Zeit, lange Strategiepapiere zu schreiben. Es ist ja alles auf dem Markt, an Papieren und Konzepten. Wir müssen uns committen, sowohl Deutschland als auch die Europäische Union, gerade jetzt, nach den Entscheidungen von Biden in den USA und mit Blick auf den asiatischen Markt, genau diese Schlüsseltechnologie zu fördern (Anm. d. Red.: US-Präsident Biden verabschiedete im August 2022 den Clean Energy Act, mit dem in den USA umfassende Fördermaßnahmen sowie Steuergutschriften für saubere Energieerzeugung gewährt werden). Denn das ist eine Zukunftsfrage, wie erzeugen wir Energie in der Zukunft? Wie machen wir uns unabhängig von Despoten wie Putin? Kurzfristig die Energiekrise zu regeln ist jetzt gerade im Fokus, aber parallel müssen wir auch an einer langfristigen Strategie arbeiten. Und das kann nur sein, dass wir uns als Europäische Union unabhängig machen von Energieimporten, aber auch die Schlüsseltechnologien hier in Europa ansiedeln und stärken.

Wie ist jetzt das kurzfristige Vorgehen, um die europäische PV-Produktion so schnell wie möglich hochzufahren?

Natürlich müssen wir sehen, welche Möglichkeiten der Staat hat, auch mit bestehenden Förderpolitiken die Expansion von Solarunternehmen zu unterstützen. Was können Förderbanken wie KfW oder die EIB, die Europäische Investitionsbank, machen? Deswegen wäre es gut, wenn wir zu dem Thema einen runden Tisch hätten, wo wir alle zusammenkommen, wo Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sich darüber austauschen.

Was sind für Sie die größten Hindernisse oder Herausforderungen, wenn es um den PV-Ausbau in Deutschland geht?

Ich habe einen großen Wechselrichterhersteller bei mir im Wahlkreis. Der hat öffentlich gesagt, er hätte im letzten Jahr 25% mehr Umsatz machen können. Aber aufgrund der Lieferketten-Problematik für Halbleiter ist es nicht möglich. Wir müssen ganz dringend sehen, dass wir auch bei der Halbleiter-Produktion den europäischen Markt stärken. Deswegen ist gut, dass Intel bei Magdeburg jetzt bis 2025 eine Fabrik baut. Das müssen wir verstärkt machen, dass wir unsere Lieferketten diversifizieren und uns nicht komplett vom asiatischen Markt abhängig machen. Auch hier müssen wir sehen: Wie holen wir so etwas zurück? Gleichzeitig brauchen wir aber auch Arbeitskräfte. Weil auch ich, wenn ich im Wahlkreis spreche, häufig höre “Wir haben gar nicht genügend Personal”. Da gibt es auch einen Wettbewerb. Deswegen müssen wir hier sehen, wie wir die Leute qualifizieren können. Gerade auch die Kombination Wechselrichter, Wärmepumpe, Heimspeicher, E-Mobilität. Dass wir da das Fachpersonal entsprechend qualifizieren, ausbilden, weiterbilden. Das ist ein Problem. Und wir müssen sehen, dass wir die vielen tollen Pläne, die schon in den Schubladen sind, die Unternehmen und Firmen für den Ausbau der Photovoltaik schon haben, dass wir die Umsetzungsprozesse beschleunigen, dass ein fertig geplanter Solarpark auch schnell gebaut und ans Netz gebracht werden kann. Da gilt es noch Verfahren zu beschleunigen, was das Planungsrecht angeht ebenso wie die Anlagenanschaltung und Abnahme der Anlagen. Das dauert häufig viel zu lang.

Die Energiekrise wird auf europäischer Ebene diskutiert. Wann wird es soweit kommen, dass man von einer europäischen Energieunion sprechen wird? Das Vorhaben, auf energiepolitischer Ebene weitreichendere Kooperationen einzugehen, scheint noch nicht so weit vorangekommen.

Die Energiefrage ist eine Frage, die Nationalstaaten nicht lösen können. Frankreich hat auf Atompolitik gesetzt. Wer weiß, wenn wir das europäisch einheitlich geregelt hätten, ob Deutschland jemals die Bewegung hin zu erneuerbaren Energien gemacht hätte, ob wir das mit diesem nationalen Weg des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) diesen Durchbruch geschaffen hätten, nun um die 50% des Stroms aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Das rückblickend. Nach vorne möchte ich sagen es ist wichtig, dass wir uns für Europa abstimmen, dass wir uns koordinieren. Wenn Sie sehen, wie viele Sonnenstunden Spanien hat und wie das jetzt in Skandinavien aussieht mit der Wasserkraft, wir sind dadurch sehr unterschiedlich aufgestellt. Ich halte da von One-fits-all-Lösungen nichts. Alles einheitlich abwickeln zu wollen, halte ich für falsch.

Was sind die Schritte, die zeitnah in den nächsten Wochen angegangen werden müssen?

Ganz zeitnah müssen die jetzt schon vorhandenen Potenziale genutzt werden. Es ist heute noch so, dass Photovoltaikanlagen im Bestand abgeregelt sind bei 70%, weil man damals gesagt hat, die Netze würden das nicht aushalten. Ich halte das für eine Farce. Da müssen wir das kurzfristige Potenzial heben. Auch das Nischenthema Balkonphotovoltaik, denn es ist sehr wichtig, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, die Balkonphotovoltaik zu erleichtern. Wir haben dazu im Osterpaket erste Schritte unternommen. Aber auch wirklich zu sagen, das ist “Plug and play” und jeder kann seinen Stromverbrauch im eigenen Haus reduzieren über eine Balkon-PV -Anlage. Das sind unmittelbare, kurzfristige Dinge, die wir jetzt relativ schnell machen können und müssen

Das Interview führte Sarah Hommel de Mendonça.

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