„Wir müssen unsere technologische Souveränität im Energiebereich erhalten“

Experteninterviews – Donnerstag, 08. Juli 2021

Professor Dr. Andreas Bett, Institutsleiter am Fraunhofer ISE

Interview mit Professor Dr. Andreas Bett, Institutsleiter am Fraunhofer ISE

Solarenergie hat wirtschaftlich den fossilen Brennstoffen den Rang abgelaufen. Immer neue Lösungen drängen auf den Markt und weitere technologischen Innovationen werden heute schon in den Laboren entwickelt.

Die europäische Solarbranche boomt und Unternehmen wie Meyer, Burger oder Next Wave produzieren zunehmend auch in Deutschland und Europa. Warum ist Europa als Produktionsstandort heute wieder attraktiv?

Da gibt es mehrere Gründe. Photovoltaik ist in der Produktion sehr billig geworden, während die Transportkosten steigen. Heute liegen sie, wenn man ein Modul von China nach Europa transportiert, bei 10 Prozent der Gesamtkosten. Das öffnet natürlich Perspektiven, wieder eine Produktion in Europa aufzubauen.

Auch durch Fridays for Future hat sich gesellschaftlich viel getan: Klimaschutz und Energiewende wurden wieder mehr diskutiert. Das hat dazu geführt, dass die Zubauzahlen deutlich angehoben wurden. Aus meiner Sicht reicht das zwar noch nicht, aber es sind positive Zeichen, dass sich in Europa eine Produktion wieder lohnt. Mir ist ganz wichtig zu betonen, dass wir dabei die gesamte Wertschöpfungskette betrachten. Wafer- und Zellproduktion müssen in Europa stattfinden und die Modulproduktion muss deutlich wachsen.

Sie beraten mit dem Fraunhofer ISE z.B. in Spanien das neugegründete Unternehmen Greenland, das eine hoch automatisierte Photovoltaikproduktion in einer Größenordnung von 5 Gigawatt pro Jahr aufbaut. Gibt es solche Projekte künftig auch in Deutschland?

Das wäre auf jeden Fall zu hoffen. Wir haben mit Meyer Burger schon eine Produktion in Deutschland, und das ist ein wichtiges Zeichen für weitere Investoren. Selbst fünf Gigawatt sind ja nur ein Bruchteil der Kapazitäten, die der europäische Markt in Summe braucht. Wir benötigen ja selbst in Deutschland für den adäquaten Zubau jährlich eigentlich zehn Gigawatt. Wir werden auch weiterhin importieren müssen. Aber es ist wichtig, dass wir unsere technologische Souveränität im Energiebereich erhalten.

Wenn wir zehn Jahre nur Module, Zellen und Wafer importieren, dann ist das gesamte technologische Prozess-Knowhow verloren. Das ist aktuell sicherlich nicht der Fall. In unseren Forschungseinrichtungen sind wir noch weltweit führend, und wir haben den kompletten Maschinenbau. Für die Zukunft ist es aber essentiell wichtig, dass wir auch die industrielle Produktion hier in Europa realisieren. Wir haben in der Covid-Krise bei der Impfstoff-Versorgung erfahren, wie wichtig es ist es, eine Produktion im Land zu haben und die Fähigkeit, gegebenenfalls hoch skalieren zu können, wenn es notwendig ist.

Nach wie vor sind über 90 Prozent der Solarzellen mit kristallinem Silizium im Weltmarkt. Ist das eigentlich noch State of the art?

Wir haben in der Industrie über die vergangenen zehn Jahre durchschnittlich ein Wachstum an Wirkungsgrad-Effizienz von 0,5-0,6 Prozent pro Jahr auf Zell-Niveau erzielt. Das ist ein ganz hervorragender Wert.

Um das Jahr 2000 war die Aluminium Back-Surface-Field Solarzelle das industrielle Produkt. Am Ende hat man in der Industrie einen Wirkungsgrad von 20 Prozent realisiert und kam damit an strukturelle Grenzen. Man konnte mit dieser Zellarchitektur den Wirkungsgrad nicht mehr steigern und brauchte neue Technologien. Im Wesentlichen waren das neue Passiverungsschichten, die den Aufbau der Solarzelle komplexer gestalteten und damit wieder eine Herausforderung für die Prozess-Technologie darstellten. Diese Technologien waren aber schon in den Laboren entwickelt worden. Das hochzuskalieren hat letztendlich in der Industrie über 34 Jahre gebraucht. Das muss man sich vergegenwärtigen.

Mit diesen Strukturen, die wir heute PERC nennen, erreicht man – und das ist der Standard in der Industrie – über 22 Prozent. Danach wird man wieder an eine strukturelle Grenze stoßen. In den Forschungslaboren haben wir vor etwa fünf Jahren begonnen, das Thema passivierende Kontakte zu untersuchten, um dort die Verluste zu minimieren. Am ISE haben wir dafür den Markennamen TOPCon geprägt, für Tunnel Oxid Passivated Contacts. Wir haben gerade einen neuen Weltrekord für so eine TOPCon-Struktur publiziert, der aus dem Labor heraus kommt mit 26 Prozent und damit das Potenzial aufzeigt. Diese Technologie wird jetzt so langsam in die Industrie eingeführt.

Die andere große Entwicklungsrichtung, die auch aus Europa kommt, ist die sogenannte Heterojunction-Solarzelle. Auch da wird ein Wirkungsgrad-Potenzial von 26,5 Prozent erwartet.

Welche Innovationen gibt es noch in der Wertschöpfungskette?

Das vielleicht Sichtbarste ist im Moment, dass viele Module auf sogenannte Halb- oder Drittel-Zellen gehen. Das hat damit zu tun, dass in der Zell-Produktion die Wafer-Größe angehoben wurde, so dass man höhere Durchsätze erreichen und damit Kosten senken kann. Wenn dann aber die Solarzellen zu groß werden, bekommt man Schwierigkeiten mit der Stromabführung. Deswegen werden die Zellen hinterher wieder separiert und im Modul entsprechend verschaltet. Da ist es natürlich interessant, wie die Verschaltung passiert, um möglichst wenig aktive Solarzellen-Fläche zu verlieren.

Wie sieht die Zukunft aus ihrer Sicht in fünf bis zehn Jahren aus?

Silizium kann als Halbleiter einen theoretischen maximalen Wirkungsgrad von 29,4 Prozent erreichen. Praktisch können wir vielleicht 27 Prozent, in der industriellen Umsetzung 26 Prozent, erreichen.

Sind wir also mit Forschung und Entwicklung am Ende?

Nein. Wir stapeln auf die Silizium-Solarzelle einen zweiten Halbleiter und erzeugen Tandem- oder mehrfach Solarzellen. Vereinfacht gesagt nehmen wir für verschiedene Spektralfarben des Sonnenlichts jeweils ein passendes Solarzellen-Material.Mit diesem Ansatz können wir die fundamentale Grenze für Silizium überschreiten. Dazu haben wir kürzlich einen Wirkungsgrad von 35,9 Prozent im Labor publiziert. Das war eine Silizium-Solarzelle als unterstes Material und aufgebracht waren zwei unterschiedliche sogenannte III-V-Halbleiter, die aufeinander gestapelt wurden. Von außen sehen sie keinen Unterschied. Aber diese Zelle hat 35,9 Prozent Wirkungsgrad. Natürlich gilt es, diese Technologien jetzt auch wieder industriell umzusetzen.

Gibt es außer Silizium ein anderes Material, das vielleicht noch besser geeignet sein könnte?

Perowskit-Kristalle haben sich in den letzten fünf, sechs Jahren als gutes Material für Solarzellen herausgestellt – und eine rasante Entwicklung in der Forschung hinter sich mit hohen Wirkungsgrad-Steigerungen. Mit Perowskit-Kristallen oder Perowskit-Schichten kann man tatsächlich schon 25 Prozent Wirkungsgrad erreichen, auch ohne Silizium darunter. Ob Perowskit auf Silizium als Tandem Zelle oder Perowskit als eine einfache Solarzelle, oder auch per Perowskit-Perowskit-Tandem-Solarzellen – das sind alles Optionen, die wir in unseren Forschungslaboren untersuchen.

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